Es ist nicht die erste Krise und wird nicht die letzte sein, die unsere Gesellschaft zu meistern hat.
Eine der vielen Fragen wird jedoch sein, was wir aus ihr lernen können und wieviele „Fehler“ wir einfach nur wiederholen, weil sie eingefahrene Muster geworden sind. Sogar das „So schnell wie möglich raus aus der Krise“ ist ein solches Muster.
Und jeder weiss natürlich, warum wir schnell machen: Arbeitsplätze, Weltwirtschaft, Wohlstand, GELD!
Aus den grossen Krisen nach den beiden Weltkriegen ist in mühseliger Kleinarbeit zuerst eine Wirtschaftsgemeinschaft und danach die Europäische Union gewachsen. Die Wiedervereinigung Europas, ganz speziell Deutschlands, musste hingegen schnell gehen. Die Gunst der Stunde, Glasnost und Perestroika, genutzt werden. Aber hat sich SCHNELL wirklich bewährt? Wenn es schnell gehen muss, werden mehr Fehler gemacht, dass weiss heute auch jeder.
Geben wir uns also etwas mehr Zeit zur Reflektion. Die einen haben sie, die anderen weniger. Viele Menschen sind derzeit in total anderen Lebens- und Arbeitsverhältnissen schier überfordert. Und können sich vielleicht weniger auch noch damit beschäftigen. Aber sie können den Finger auf Problembereiche legen und damit zur Diskussion beitragen.
Wichtig ist, dass wir bereit sind, aus Entwicklungen zu lernen, die uns dahin gebracht haben, wo wir heute, Frühjahr 2020, gelandet sind. Ja, gelandet wie auf einem anderen Planeten: Die Weltwirtschaft binnen 2 Monaten fast am Rande des Kollaps. Schreckensszenarien über mögliche Ausmasse der Coronapandemie weltweit – nicht im geringsten vergleichbar mit den Zahlen in Europa.
Auf was will ich raus?
Heute und an dieser Stelle: Denkprozesse anzuregen, neue Muster und neue Modelle zu entwickeln.
Dazu zwei Fragen: Wer? Und worüber?
Statt Diskussionen über das „Nach der Krise“ zu vermeiden, oder zu untersagen, sollte man vielmehr, über alle nur möglichen Medien, dazu aufrufen. Warum nicht Auszeichnungen anbieten, wie in so vielen anderen Bereichen auch? Das können wir alle tun, aber gut platziert für diesen Aufruf wären auch unsere gewählten Politiker oder Wirtschaftsträger mit sozialem Gewissen.
Beispiele, in denen Menschen und Unternehmen kreativ, solidarischer und, ja, menschlicher geworden sind, gibt es mittlerweile täglich:
Eine grosse Versicherungsgruppe in Frankreich entschädigt Selbstständige und Kleinunternehmen für Verdienstausfälle, auch wenn diese im Vertrag nicht gedeckt waren (Crédit Mutuel). Die Grossverdiener im Profitennis finanzieren einen Fonds für weniger gut verdienende Kollegen (die im Moment nämlich GARNICHTS verdienen), auch einige Fussballprofis und die Vorstände von Peugeot (PSA) verzichten auf einen Teil ihres Einkommens; Rockstars machen ein „Hauskonzert“ für uns; usw, usw.
Und wenn wir einen Teil dieser Solidarität, dieser Menschlichkeit über die Krise rüberbringen könnten?
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Beim „Worüber“ ist die Liste natürlich ohne Ende, und ich greife exemplarisch zwei Bereiche raus:
1. Stichwort: Tourismus
Seit 2015 häufen sich in den Medien Berichterstattungen über „Overtourism“ rund um den Globus. Ich werde sie nicht wiederholen, jeder kann sie nachlesen: Venedig! Mallorca! Downunder!Schon in den 80er Jahren gab es Studien der EU, wonach der Mittelmeerraum und die Alpenregion als höchstgesättigt und stark gefährdet eingestuft wurden.
„No-Tourism“, wie derzeit, April 2020, heisst jedoch für viele Länder in Asien, Südamerika und Afrika NOCH mehr Probleme. Existenzielle Probleme.
Aber müssen wir nach der Krise dort weitermachen, wo wir aufgehört haben …?
Gibt es nicht bessere Szenarien?
Staatlich gestützte Kerosinpreise haben den Auswuchs dieses Industriezweigs in Schwung gebracht und ins Unermessliche wachsen lassen. Flüge sind meist billiger als Zugfahren und stossen dabei Unmengen mehr an CO2 aus. Fernweh gab es schon immer, und Neugierde auf Neues, Fremdes ist ein schöner Zug. Aber muss es denn so viel sein? Und muss es staatlich gefördert werden? Wo bleibt der CO2-Fussabdruck? Nordsee, Ostsee, die Rhön, die Ardennen, die Vogesen und der Jura – nicht auch entdeckenswert?
2. Stichwort: Abhängigkeiten:
Gibt man in eine der Suchmaschinen im Internet den Begriff „Cecchini Bericht“, bekommt man eine Auswahl an Klickmöglichkeiten:
„Die europäische Antwort auf die soziale Frage“; „Perspektiven zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes“; „Liberalisierung und Deregulierung im europäischen Binnenmarkt“.
Es gibt sicherlich auch Angaben wie teuer die „ … wohl bedeutendste wirtschaftswissenschaftliche Befassung mit dem europäischen Binnenmarkt …“ UNS gekostet hat – aber wer kennt denn schon den Cecchini Bericht?
Meine Frage, als Kennerin des Berichts und des Europäischen Integrations-werkes, ist folgende: Wie konnte man nach diesem Bericht und dem Credo aller DAMALIGEN Mitgliedstaaten zu einem Europäischen Binnenmarkt (1992!) in einer Globalisierung landen, in der wir ALLES UND NOCH MEHR aus Ländern ausserhalb Europas, allen voran aus China, importieren, sogar lebenswichtige Medikamente …
Gibt es nicht bessere Szenarien?
Und damit meine ich nicht eine Re-Nationalisierung, sondern eine Re-Europäisierung.
Das wäre mein kleiner Beitrag zu neuen Denkmodellen.