oder: Mal andersrum
2014 wurde Jacqueline Sauvage, 67 Jahre alt, zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatte ihren Mann mit drei Schüssen in den Rücken getötet, weil er sie und ihre drei Töchter jahrzehntelang misshandelt und vergewaltigt hatte. Alle wussten das, aber es blieb am Ende nur diese Verzweiflungstat der Frau.
Ihre Richter waren streng: Keine Selbstverteidigung, da Schüsse in den Rücken, und trotz der Vorgeschichte und des Leidenswegs von Frau Sauvage und ihren Töchtern (ihr Sohn hatte sich am Abend vor der Tat das Leben genommen) wurde sie 2014 zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Der damalige Staatspräsident Frankreichs zeigte mehr Verständnis, auch angesichts des öffentlichen Aufschreis: Trotz des Widerstandes des Gerichts begnadigte er sie, und sie konnte 2016 aus der Haft entlassen werden.
Seit ein paar Tagen hat Frankreich eine zweite Jacqueline Sauvage: Sie heisst Valérie Bacot und stand wegen Tötung ihres Mannes vor Gericht. Auch sie handelte aus Verzweiflung, um endlich den Mann loszuwerden, der sie 25 Jahre lang missbraucht und sogar zur Prostitution gezwungen hatte. Trotzdem dies alles polizeibekannt war, kam auch hier ihr niemand zur Hilfe, nicht mal die eigene Mutter.
Und, siehe da, die Justiz hat wohl aus dem Fall Sauvage gelernt; oder können wir hoffen, dass sich die Gesellschaft im Ganzen weiterentwickelt hat? Auf jeden Fall wurde der Leidensweg von Frau Bacot als stark mildernder Umstand berücksichtigt. Der Generalstaatsanwalt sagte den bemerkenswerten Satz: „ Sie durfte kein Leben nehmen; und deswegen muss sie bestraft werden, aber ohne wieder ins Gefängnis zu müssen.“ Das Urteil fiel dementsprechend aus: 4 Jahre wegen Totschlags, davon 3 auf Bewährung, und das vierte war bereits durch die Untersuchungshaft abgebüsst.
Damit konnte Valérie Bacot am 26.6.21 den Gerichtssaal als freier Mensch verlassen – in jeder Beziehung. Wie gesagt: Dürfen wir hoffen, dass sich das Bewusstsein unserer Gesellschaft zum Vorteil aller Missbrauchten weiterentwickelt?