Oder: Bitte keine französischen Verhältnisse…

In einer Woche wählt Deutschland seinen neuen Bundestag – und seine neue Regierung. Die Umfragen bestätigen vor allem einen Trend: Die sog. „grossen“ Parteien, Union und SPD, sind nicht mehr die Volksparteien von früher; und eine Koalition von drei Parteien ist schon rechnerisch sehr wahrscheinlich.

Denn in Deutschland wird ja bekanntlich immer versucht, eine Regierung der und für die Mehrheit der Wähler zu bilden. Das heisst Kompromisse, das heisst Kröten schlucken (welcher Grünen-Wähler würde sich z.B. freuen, mit der FDP zu koalieren?), das heisst aber auch, und vor allem, dass sich auch die nächste Bundesregierung und ihre Politik auf eine Mehrheit der Wähler berufen und stützen kann.

Selbstverständlich? Oh nein. Wir haben die Wahlen in den USA verfolgt: Demokraten oder Republikaner, sonst nichts. Und: „The winner takes it all“. Was bedeutet, dass knapp die Hälfte der Wähler am Ende dumm dasteht und sich nicht adäquat vertreten fühlt. Das Land ist gespalten.

So ähnlich sieht es leider auch in Frankreich aus: Macron hat sein Versprechen nicht gehalten und wieder nicht die Verhältniswahl eingeführt. Damit werden wir uns nächstes Jahr wieder auf ein grosses Durcheinander mit vielen Kandidaten im 1. und auf ein Duell im 2. Wahlgang gefasst machen müssen. Und auch hier wird der Gewinner am Ende alles abräumen. Koalitionen sind hier verdächtig und unerwünscht (Absprachen ja, aber davon braucht ja keiner zu wissen) und deshalb kriegt der/diejenige, der/die die meisten Stimmen erhalten hat, eine komfortable Mehrheit dazugeschenkt.

In Klammern: Wir hatten vor den letzten Präsidentschaftswahlen für den kommenden Innenminister einen Text verfasst, der hier in unserer Blogsammlung enthalten ist (auf französisch). Daraus ein Beispiel: In unserer früherem Wohnort war der Bürgermeister mit 51% der abgegebenen Stimmen gewählt worden. Und im Gemeinderat sassen dann 21 Mitglieder seiner Liste und 8 der Opposition, macht 10 Sitze Bonus für den Gewinner. Findet Ihr das gerecht? Wir nicht; und kein Wunder, wenn sich die „Opposition“ und 49% ihrer Wähler untergebuttert fühlen, um nicht zu sagen, verarscht.

Also, gut, dass in Deutschland das Verhältniswahlrecht gilt, mit Direktmandaten und Listen. Und dass dann Koalitionen entstehen, die eine Wählermehrheit widerspiegeln. So fühlen sich mehr Wähler auch repräsentiert und „dabei“.

Allerdings machen uns zwei Dinge doch grosse Sorgen:

Einmal die, trotz Koalitionen und echten Mehrheiten, dass die Politikverdrossenheit immer weiter zuzunehmen scheint. Wie oft hören wir: „Ach, die lügen doch alle.“ oder: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“, usw. Kennt Ihr sicher auch, solche Sprüche. Aber wem nützen sie denn? Was soll das denn bitte heissen? Das erste Mal seit Jahrzehnten kann Deutschland mal was Neues wählen, auf jeden Fall eine neue Regierung mit neuer Spitze und vielleicht einer neuen Parteien- und Ideenkoalition. Wenn einem das, was wir haben, nicht genug ist oder gar nicht passt, dann kann er am Sonntag für einen Wechsel stimmen. Denn jede Partei, ausser der AfD und den Splitterparteien, könnte in der nächsten Regierung sitzen, mit vielen neuen Köpfen und neuen Ideen.

Also: Hier ist die Chance zu verändern, was uns nicht passt!

Und dann noch (und damit zusammenhängend): Die Sich-Enthalter.

Bei den französischen Regionalwahlen sind die meisten Wähler gar nicht erst an die Urnen gegangen (auch hier gibt es einen Blog). Ergebnis: Manche Kandidaten sind schon mit 20% aller wählerberechtigten Bürger gewählt worden. So ähnlich ist übrigens auch Macron am Ende in sein Amt gekommen. Also haben 80% den jeweiligen Amtsinhaber, Gemeinde- Regional- oder Nationalrat, NICHT gewählt! Da ist es mit der Identifikation, mit der Unterstützung natürlich nicht weit her, ne? Und schon hört man wieder: „Den/die kenn ich gar nicht“ oder „Den/die hab ich nicht gewählt.“ Wie sagte der im Dreck sitzende Michael Palin zu König Arthur: „I didn’t vote for you“.

Und das wollen wir doch nicht, oder?

Also, Leute, bitte wählt. Ihr habt die Chance zu verändern, neue Leute in wichtige Ämter zu bringen und am Ende das Recht zu haben, sehr dafür oder auch dagegen zu sein und das Maul aufzureissen, wie es Euch beliebt.

Wer nicht wählt, hat diese Chance leider nicht genutzt und sollte sich überlegen, ob er die nächsten vier Jahre vielleicht lieber die Klappe hält. Denn er hat die Politik den anderen überlassen.

Wie heisst es im TV: „Das ist unsere Meinung – und Eure?“

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